Eine Zeitlupe im Sportfernsehen zeigt Abläufe in Hundertstel-Sekunden-Schritten. Vorgänge auf der Nanoskala laufen hingegen im sogenannten Femtosekunden-Bereich ab: Nur Milliardstel-Sekunden braucht zum Beispiel ein Elektron, um ein Wasserstoff-Atom zu umkreisen. Physikerinnen und Physiker weltweit forschen mit speziellen Instrumenten daran, solche ultraschnellen Nano-Prozesse in Filmen festzuhalten.
Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Universität Stuttgart haben eine neue Methode für solche Filme entwickelt. Sie basiert auf einem anderen physikalischen Konzept als bisher und erlaubt damit weitere und präzisere Untersuchungsmöglichkeiten. Dafür kombinierten sie ein Elektronenmikroskop mit nanostrukturierten dünnen Metallschichten, die sehr kurze Lichtpulse erzeugen. So konnten sie in einem ersten Experiment kohärente Wechselwirkungen von Licht und Elektronen in einem Halbleiter filmisch dokumentieren. Ihre Ergebnisse erschienen am 23. Februar 2023 in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics.
Einfachere und kostengünstigere Methode als bisher
Bisher wurden Filme von ultraschnellen Nano-Prozessen in der Regel mit Hochleistungslasern erzeugt, kombiniert mit Elektronenmikroskopen. Doch die großen und komplexen Aufbauten können sich nur wenige Forschungsgruppen leisten. „Unser Konzept für Elektronenmikroskope kommt ohne teure und komplizierte Laser aus und kann leicht nachgebaut werden“, sagt Nahid Talebi, Professorin für Experimentalphysik an der CAU.
In Elektronenmikroskopen werden Elektronen zu einem Strahl gebündelt, beschleunigt und auf eine Materialprobe gerichtet. Wie die Elektronen die Probe durchdringen oder von ihr reflektiert werden, lässt Rückschlüsse auf die Eigenschaften des Materials und die ablaufenden Prozesse im Inneren zu. „Elektronenmikroskope haben eine deutlich bessere räumliche Auflösung als optische Mikroskope und machen Untersuchungen im Nanometerbereich erst möglich“, erläutert Talebi. Mit den speziellen Bauteilen, die sie entwickelt hat, lässt sich auch die zeitliche Auflösung von Elektronenmikroskopen relativ einfach verbessern. So kann sie jetzt sogar ohne Laser ultraschnelle Nano-Prozesse auf der Femtosekunden-Zeitskala filmisch festhalten.
„Nanosieb“ für die benötigten kurzen Lichtpulse kommt von der Universität Stuttgart
Ein zentraler Baustein von Talebis Konzept ist ein spezielles „Nanosieb“, das sich in ein Elektronenmikroskop einsetzen lässt und dort wie eine Lichtquelle funktioniert. Trifft ein Elektronenstrahl darauf, erzeugt das Lochmuster zielgerichtete, kurze Lichtpulse, mit denen sich die schnellen Filme letztendlich erstellen lassen. Dafür bohrten die Forschenden in eine dünne Goldfolie winzige Löcher von 25 bis 200 Nanometern Durchmesser. Hergestellt wurden die „Nanosiebe“ in enger Zusammenarbeit mit Dr. Mario Hentschel aus der Arbeitsgruppe von Prof. Harald Giessen am 4. Physikalischen Institut, das an dem Profilbereich Quantentechnologie und dem Stuttgart Research Center of Photonic Engineering (SCoPE) der Universität Stuttgart beteiligt ist. Ihr Konzept für Femtosekunden-Filme mit dem Elektronenmikroskop, die keinen Laser benötigen, erforschte Talebi schon als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart und als Habilitandin am 4. Physikalischen Institut. Ihre Idee wurde dann auch mit einem ERC Starting Grant in Höhe von 1.5 Mio EUR des European Research Council der EU ausgezeichnet. Das 4. Physikalische Institut mit seiner hervorragenden Infrastruktur im Nanotechnologie-Bereich ist eine der weltweit führenden Arbeitsgruppen auf dem Gebiet der ultraschnellen Nano-Optik und Plasmonik und arbeitet schon seit vielen Jahren erfolgreich mit dem MPI für Festkörperforschung zusammen.
Wechselwirkungen zwischen Elektronen und Photonen filmisch dokumentiert
In dem Experiment, das in der aktuellen Publikation beschrieben wird, treffen die kurzen Lichtpulse aus den siebartigen Nanostrukturen mit Lichtgeschwindigkeit auf die Wolfram-Diselenid-Probe. Dort regen sie Exzitonen an, sogenannte Quasiteilchen. Das sind Elektronen, die sich aus einem Atom gelöst haben, aber mit dem dort entstandenen Loch weiterhin in Verbindung stehen („Elektronen-Loch-Paare“). „Wenn kurze Zeit später auch der etwas langsamere Elektronenstrahl auf die Halbleiter-Probe trifft, können wir an der Reaktion der Elektronen ablesen, wie sich die Exzitonen in der Zwischenzeit verhalten haben“, erklärt Talebi. Aus der Überlagerung des Elektronenstrahls und der Lichtpulse entstehen Kathodolumineszenz-Signale, die eine kohärente Wechselwirkung zwischen Elektronen und Photonen zeigen.
Um diese Prozesse in einem Film festhalten zu können, setzten die Forschenden schließlich noch einen piezoelektrischen Kristall in den Mikroskopaufbau ein. Damit können sie den räumlichen Abstand zwischen der Lichtquelle und der Untersuchungsprobe präzise verändern und somit auch den zeitlichen Abstand, mit dem der Elektronenstrahl und die Lichtpulse auf die Probe treffen. So kann man zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses Bilder aufnehmen und zu einem Film zusammensetzen.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
Publikation:
Taleb, M. Hentschel, K. Rossnagel, H. Giessen, N. Talebi, „Phase-locked photon-electron interaction without a laser”, Nature Physics (2023). DOI: 10.1038/s41567-023-01954-3
Kontakt | Wissenschaftliche Ansprechpartner an der Universität Stuttgart: Prof. Harald Giessen, Mario Hentschel, 4. Physikalisches Institut, Tel. +49 711 685 65110 |
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