Mein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des statistischen maschinellen Lernens. Mithilfe des maschinellen Lernens werden IT-Systeme in die Lage versetzt, auf Basis vorhandener Datenbestände und Algorithmen Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. Es wird quasi künstliches Wissen aus Erfahrungen generiert. Die aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse lassen sich verallgemeinern und für neue Problemlösungen oder für die Analyse von bisher unbekannten Daten verwenden.
Insbesondere fokussiere ich mich darauf, wie dies effizient mit kernbasierten Methoden sowohl in direkten als auch inversen Lernproblemen mit sehr großen Datenmengen („Big-Data“) geschehen kann. Durch die Entwicklung im Bereich der Big-Data-Technik hat auch das maschinelle Lernen einen großen Aufwind erhalten. Ich habe mich hauptsächlich mit dem sogenannten „Distributed Learning“ (verteilte Rechnerstrukturen), stochastischen Approximationsmethoden und subsampling Methoden beschäftigt.
Ebenfalls genutzt werden sogenannte neuronale Netze, die nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns funktionieren. Meine Forschung auf diesem Gebiet wurde hier am ISA angeregt. Neuronale Netzarchitekturen zum Lösen von Problemen zu konzipieren ist komplex. Zahlreiche zu bestimmende Hyperparameter und viele zur Optimierung auswählbare Verlustfunktionen machen die Angelegenheit noch herausfordernder. Mit meiner Forschung möchte ich einen Beitrag leisten, diese komplexen Systeme theoretisch besser zu verstehen.
Warum ist gerade diese Forschungsrichtung so interessant / zukunftsweisend?
Umfangreiche Forschungsaktivitäten zielen auf neuronale Netzarchitekturen für autonomes Lernen ab. Ohne maschinelles Lernen sind die Entwicklungen im Bereich des autonomen Fahrens kaum denkbar. Der Grad an Intelligenz, der mit Deep Learning erreicht werden kann, ist notwendig, damit autonom fahrende Fahrzeuge ihre Umgebung richtig erkennen und deuten können.
Ein zweiter wichtiger Anwendungsbereich liegt im optimierten Energiemanagement. Klimawandel und Energiewende gehören zu den größten aktuellen Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und auch für die Industrie. Data-Science-Methoden wie Machine Learning machen einen immer komplexer werdenden Energiemarkt beherrschbar. Damit der Bedarf immer optimal gestillt werden kann, ist es nötig, sowohl die Rahmenbedingungen der Energieerzeugung genauestens im Blick zu haben, als auch den voraussichtlichen Verbrauch.
Für diese Aufgabe, bei der Wissen auch aus Erfahrung abgeleitet werden muss, bietet sich Machine Learning als ideale Lösung an. Machine-Learning-Algorithmen helfen dabei, Nachfrage und Angebot aufeinander abzustimmen oder Anomalien im Stromverbrauch zu erkennen.
Auch bei der medizinischen Bildverarbeitung lässt sich Deep Learning besonders effektiv einsetzen,da dabei hochwertige Daten zur Verfügung stehen und konvolutionelle neuronale Netze Bilder klassifizieren können. Die Einstufung von Hautkrebserkrankungen gelingt Deep-Learning-Systemen mindestens ebenso effektiv wie Dermatologen.
Sie organisieren im Juli den "Stuttgart Workshop on Statistical Learning". Wie wichtig ist der Austausch unter PhD Studenten und Postdoktoranden in Ihrem Forschungsgebiet?
Grundsätzlich finde ich den Austausch von PhD Studenten und Postdoktoranden untereinander wichtig, nicht nur in meinem Forschungsgebiet. Die Idee zu meinem workshop ist dabei aus meiner persönlichen "Not" heraus entstanden. Es gibt zahlreiche Angebote für workshops, die in die Thematik des Machine Learning einführen, aber für fortgeschrittenere ForscherInnen nicht gut angepasst sind. Es gibt auch Angebote für workshops, die von ProfessorInnen organisiert werden und bei denen typischerweise PhD Studenten und Postdocs wenig bis gar keinen Raum bekommen, um über eigene Arbeiten zu sprechen. Mit meinem workshop versuche ich diese Lücke zu schließen.
Frau Mücke, Sie forschten auch an der Universita' degli Studi di Genova. Was ist der Unterschied zu Forschung und Lehre an der Universität Stuttgart oder Potsdam?/p>
In Genua habe ich die Erfahrung gemacht, dass es (sehr) unterschiedliche Wege gibt, sinnvoll zu forschen; unterschiedliche kulturelle Hintergründe sind dabei bereichernd. Die Kollegen in Genua waren sehr kommunikativ und es gab in der Arbeitsgruppe immer einen interessierten und regen Austausch über aktuelle Forschungsthemen. Verglichen mit meinen Erfahrungen an der Universität in Stuttgart gab es in Genua und Potsdam weniger strenge und durchlässigere Hierarchien. Diese Offenheit schätze ich sehr. So war es möglich, "auf Augenhöhe" miteinander zu arbeiten, sowohl in der Forschung, als auch in der Lehre.
Allerdings habe ich auch festgestellt, wie privilegiert ich als Nachwuchswissenschaftlerin an einer deutschen Universität bin. So gibt es sowohl in Potsdam als auch in Stuttgart ein durch ein Gleichstellungsreferat vergegenständlichtes Bemühen, für die besonderen Bedürfnisse von Wissenschaftlerinnen und insbesondere Müttern in der Forschung, einzustehen. Dafür bin ich dankbar. Dass solche Einrichtungen von Bedeutung sind, zeigen die Statistiken: Der Anteil an Frauen in der Wissenschaft liegt bundesweit bei nur 28%. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf den hinteren Rängen, nämlich nur auf Platz 38,
In Stuttgart im Fachbereich Mathematik liegt der Anteil an Professorinnen gerade einmal bei 16%. Dies bestätigt die Notwendigkeit, Nachwuchswissenschaftlerinnen zu fördern, und dabei insbesondere natürlich Mütter. Die diesbezügliche Praxis kann jedoch noch deutlich verbessert werden. Generell ist die Situation für Habilitandinnen hier im Fachbereich noch sehr schwierig, was die Gestaltung und Ausübung von eigenen Lehrveranstaltungen angeht. Ich wünsche mir, dass sich daran etwas ändert. Die Universität Stuttgart würde dadurch attraktiver werden.
Dr. Nicole Mücke
Institut für Stochastik und Anwendung