Mein Forschungsgebiet heißt algebraische Geometrie. Das ist das Studium algebraischer Varietäten, d.h. geometrischer Objekte, die durch Polynome definiert werden können. Mein Schwerpunkt ist eine gewisse Klasse kompakter komplexer Flächen, der sogenannten K3-Flächen.
Algebraischer Geometrie eilt der Ruf voraus, sie sei sehr abstrakt und kompliziert. Stimmt das?
In vielerlei Hinsicht schon, da algebraische Geometrie sehr viele Revolutionen erlebt hat, in denen neue Methoden und neue Begriffe eingeführt wurden, die die Sprache komplett verändert haben. Das berühmteste Beispiel ist der nun grundlegende Begriff von Schema, den von Grothendieck erfunden wurde. Dank der neuen Sprache konnten viele Resultate rigoroser bewiesen werden und viele Irrtümer erkannt und getilgt werden. Meiner Meinung nach ist es deshalb sehr wichtig, die historische Entwicklung der Theorie zu berücksichtigen, um zu verstehen, warum viele solche abstrakten Konzepte eigentlich einen konkreten Ursprung haben.
Nun etwas genauer zu Ihrem Schwerpunkt. Warum sind K3-Flächen wichtig?
Vom Standpunkt der Differentialgeometrie her sehen alle K3-Flächen gleich aus: Allen K3-Flächen liegt derselbe topologische Raum zugrunde, eine kompakte einfach zusammenhängende reelle 4-Mannigfaltigkeit. Vom Standpunkt der komplexen bzw. algebraischen Geometrie her sind diese Flächen extrem interessant: Sie können auf verschiedene Arten konstruiert und von zahlreichen Standpunkten untersucht werden. Aus diesem Grund wurden verschiedene Vermutungen -- etwa die Weil-Vermutungen -- zunächst auf K3-Flächen getestet, bevor sie in voller Allgemeinheit bewiesen wurden.
Wie kamen Sie auf K3-Flächen?
Eines der Hauptresultate der klassischen algebraischen Geometrie des 19. Jahrhunderts ist, dass jede glatte kubische Fläche im projektiven Raum genau 27 Geraden enthält. Die Frage, wie viele Geraden eine Fläche von Grad höher als 3 enthalten kann, ist aber viel schwieriger zu beantworten. Das liegt daran, dass kubische Flächen rationale Flächen sind, während quartische Flächen und Flächen höheren Grades K3-Flächen bzw. Flächen allgemeinen Typs sind. Die Antwort für quartische Flächen ist seit den 1940er Jahren dank B. Segres Arbeit bekannt: Eine glatte quartische Fläche enthält höchstens 64 Geraden. Eine Behauptung in Segres Beweis war aber falsch und wurde erst ungefähr 70 Jahre später von meinem Promotionsbetreuer M. Schütt und seinem Koautor S. Rams korrigiert. In meiner Promotion habe ich mich mit diesem Problem auseinandergesetzt. Ich habe die Anzahl von Geraden untersucht nicht nur im Fall der glatten quartischen komplexen Flächen, sondern auch im Fall der über Körper beliebiger Charakteristik definierten Flächen mit isolierten ADE-Singularitäten. Die minimale Auflösung solcher Flächen ist immer noch eine K3-Flächen, daher meine Vorliebe für diese Klasse von Varietäten.
Wie hat sich Ihre Forschung nach der Promotion entwickelt?
Während meines ersten Postdocs in Mainz habe ich mich für Gitter interessiert. Ein Gitter ist eine symmetrische Bilinearform auf einer freien endlich erzeugten abelschen Gruppe, die Werte in den ganzen Zahlen annimmt. Wegen des Torelli-Theorems für K3-Flächen, des Grundsteins der Theorie, spielen Gitter eine wichtige Rolle. Nach der Frage nach der Anzahl von Geraden auf quartische Flächen habe ich mich anderen enumerativen Problemen zugewandt, z.B. wie viele nicht-isomorphe Enriques-Flächen eine gegebene K3-Fläche überlagert oder wie viele elliptische Faserungen bis Automorphismen eine gegebene K3-Fläche zulässt. Diese enumerativen Probleme führen dann oft wiederum zu spannenden zahlentheoretischen Fragen. Um alle K3-Flächen zu klassifizieren, die keine Enriques-Fläche überlagern, habe ich in Zusammenarbeit mit S. Brandhorst und S. Sonel allen, in Anspielung auf Eulers geeignete Zahlen, sogenannten geeigneten Geschlechter von Gittern aufgelistet: Es gibt 557 davon -- vielleicht zwei mehr, falls eine gewisse Verallgemeinerung der Riemannschen Vermutung nicht gilt. In letzter Zeit habe ich mich einer Verallgemeinerung von K3-Flächen in höher Dimension gewidmet, den sogenannten Hyperkählermannigfaltigkeiten. Von dieser Klasse von Mannigfaltigkeiten ist noch recht viel unbekannt. Am schönsten finde ich bisher die Verbindung zwischen ihren symplektischen Automorphismen und einigen sporadischen einfachen Gruppen.
Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit Spaß?
Das Schönste an meiner Arbeit ist bestimmt die Möglichkeit, jeden Tag etwas Neues zu tun. Die Lehre macht mir auch Spaß: Ich finde es faszinierend, wenn Student.inn.en sich für das Thema der Vorlesung begeistern und sich aufregende Fragen ausdenken. Und nun, da die Corona-Pandemie fast vorbei zu sein scheint, freue ich mich wieder, auf echte Konferenzen reisen zu dürfen. Ich vermisse es, über Mathematik mit Kreide in der Hand und nicht durch Zoom mit meinen Kollegen zu diskutieren.
Vielen Dank für das Interview.
Dr. Davide Cesare Veniani
Institut für Geometrie und Topologie