Warum haben Sie sich für ein Mathematikstudium entschieden?
In der Schule haben mir Mathematik und Physik am besten gefallen und ich habe auch sehr gerne anderen Nachhilfe in beiden Fächern gegeben. Für mich lag es daher nahe, sich für ein Lehramtsstudium in Mathematik und Physik einzuschreiben, um diese Interessen auch im Berufsalltag fördern zu können. Da nach dem Zivildienst noch recht viel Zeit bis zum Semesterstart war, habe ich unter anderem ein Orientierungspraktikum an einer Schule absolviert, um Erfahrungen aus der Lehrerperspektive zu sammeln. Im Gegensatz zum Nachhilfeunterricht hat mir die Lehrtätigkeit dort aber leider nicht viel Freude bereitet. Letzten Endes habe ich mich dann für den Bachelor Mathematik eingeschrieben, da ich mich in diesem Gebiet auf jeden Fall vertiefen wollte.
Bevor es mit dem Studium losging, habe ich noch an dem vom MINT-Kolleg angebotenen Vorkurs Mathematik teilgenommen, den ich auch jedem empfehlen kann, der über ein Mathematikstudium nachdenkt. Man erkennt sofort, dass der Fokus im Mathematikstudium ein ganz anderer ist als der, den man vom Mathematikunterricht an der Schule gewohnt ist. Grob gesagt werden Probleme in der Regel in einem größeren abstrakten Rahmen betrachtet und gemachte Aussagen werden sorgfältig bewiesen, während das Rechnen mit Zahlen in den Hintergrund rückt. Wenn einem dies nicht liegt, ist es besser dies vor dem Studium zu erkennen, sodass man sich gegebenenfalls um entscheiden kann. Mich haben dieser Übergang und die einhergehenden neuen Herausforderungen jedenfalls angesprochen.
Wie haben Sie das Mathematikstudium empfunden?
Die ersten beiden Semester fand ich hart, da eben die Diskrepanz zum Mathematikunterricht an der Schule sehr groß ist. Gerade am Anfang sind viel Hartnäckigkeit und Frustrationstoleranz gefragt und man sollte außerdem aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen und Methoden sein. Es dauert typischerweise eine Weile, bis man sich an die Denkweise im Studium gewöhnt und anfängt, sich über neu gewonnene Einsichten und elegante Beweise zu freuen.
Was machen Sie aktuell?
Ich promoviere am Lehrstuhl für mathematischen Systemtheorie. Kurz gesagt beschäftigen wir uns mit der Analyse von komplexen dynamischen Systemen und der Regelung solcher Systeme, um ihr zeitliches Verhalten möglichst optimal zu gestalten. Beispielsweise möchte man in einer Windkraftanlage die Windräder automatisch und Trotz externer Einflüsse stets so ausrichten, dass möglichst viel Energie gewonnen werden kann. Insbesondere untersuchen wir, wie mit Unsicherheiten in vorhandenen mathematischen Modellen umgegangen werden kann. In der Praxis weichen Modelle nämlich in der Regel vom zugrundeliegenden realen System ab, beispielsweise wegen unbekannter Parametern oder vernachlässigter Dynamiken.
Ich selbst beschäftige mich genauer mit der Analyse und Steuerung von ganzen Netzwerken aus Systemen, sowie der von sogenannten geschalteten Systemen. Letztere sind Systeme, deren Dynamik sich abrupt verändern kann, wie man sie oft in der Elektrotechnik oder aber auch bei der Optimierung von Verkehrsflüssen vorfindet. Modellieren kann man dies beispielsweise durch Differentialgleichungen, die von stückweise konstanten Parametern abhängen.
Sie wurden vor kurzem für einen Konferenzbeitrag mit dem IFAC Young Author Award ausgezeichnet. Welches Problem haben Sie in Ihrem Beitrag untersucht?
Dort ging es um ein neues Verfahren zur Analyse von geschalteten System für den Fall, dass nur Schranken an die Werte und zusätzlich an die Sprunghöhen der involvierten stückweise konstanten Parameter bekannt sind. Informationen über die Sprunghöhe werden in dem betrachteten Kontext von Stabilitätsresultaten bisher nicht ausgenutzt, stehen aber in der Praxis oftmals zur Verfügung. Im Gegensatz zu existierenden Methoden erlaubt das neu entwickelte Verfahren, auf flexible Weise andere Unsicherheitstypen in die Stabilitätsanalyse einzubeziehen.
Tobias Holicki, M.Sc.
Lehrstuhl für mathematische Systemtheorie
Institut für Mathematische Methoden in den Ingenieurswissenschaften, Numerik und geometrische
Modellierung