Herr König, in Ihrer Bachelorarbeit beschäftigen Sie sich mit der Quantifizierung von Unsicherheiten. Was genau bedeutet das?
Wir Mathematiker leben in der Regel in einer Welt, in der alle benötigten Informationen zur Lösung eines Problems exakt bekannt sind. Dabei ist das in der echten Welt nahezu nie der Fall. So sind beispielsweise Messwerte auch immer Messfehlern unterworfen.
Deshalb sollte man sich nicht nur die Frage stellen, wie die Lösung zu einem Problem aussieht,
sondern auch, wie sicher wir uns mit dieser Lösung sind und wie sehr wir ihr vertrauen können. Dies
geschieht meist durch die Angabe von Konfidenzregionen, d.h. anstelle einer einzigen Lösung, die
aufgrund von Messfehlern oder anderen Störungen verfälscht sein könnte, berechnet man ein Gebiet,
in dem die Lösung mit hoher Wahrscheinlichkeit enthalten ist. Die Größe des Gebiets kann dann als
(Un)sicherheit interpretiert werden.
Die Anwendungen hierfür sind äußerst vielfältig. Unsicherheit und Risiko spielen seit je her
an den Finanzmärkten eine große Rolle, aber auch im Kontext von bspw. künstlicher Intelligenz sind
Unsicherheiten von immenser Bedeutung.
Die Arbeit trägt den Titel „About Bayesian Inversion Theory for Parabolic Partial Differential Equations“ – können Sie das für uns ein wenig entschlüsseln?
In meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit stochastischen Methoden für inverse Probleme
auseinandergesetzt. Inverse Probleme entstehen meist dann, wenn man auf eine Größe, die man nicht
direkt beobachten kann, anhand einer anderen Größe zurückschließen möchte. Ein berühmtes Beispiel
hierfür ist die Computertomographie. Da man nicht jeden Patienten einfach aufschneiden sollte, kann
dessen Inneres nicht direkt beobachtet werden. Stattdessen wird gemessen, wie der Körper des
Patienten Strahlung absorbiert und anhand dieser Absorption kann dann auf die innere Struktur
geschlossen werden.
Solche inversen Probleme bringen einige spannende mathematische Eigenschaften mit, die sie zu
perfekten Kandidaten für Unsicherheitsanalysen machen. Inverse Probleme besitzen nämlich meist
keine oder unendlich viele Lösungen und sind zudem anfällig für Störungen wie Messungenauigkeiten.
Daher sind sie meist schwer zu lösen und die berechneten Lösungen können schnell ungenau werden –
hier kommt die Berechnung von Unsicherheiten ins Spiel.
Konkret habe ich mich mit der Zeitinversion eines Diffusionsprozesses beschäftigt. Das lässt sich leicht veranschaulichen. Gibt man beispielsweise einen Tropfen Tinte in ein Glas Wasser, so kann man sich die Ausbreitung der Tinte ganz gut vorstellen. Ein solcher Ausbreitungsprozess kann durch eine parabolische PDE modelliert und anschließend simuliert werden. Lassen wir das Glas jedoch für eine Weile ruhen und betrachten es erst zu einem späteren Zeitpunkt, so ist es außerordentlich schwer zu berechnen, wo genau im Wasser der Tropfen einmal war oder welche Form er hatte. Der Blick in die Vergangenheit ist bei Diffusionsprozessen also viel schwieriger als der Blick in die Zukunft. Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit einem schmelzenden Eiswürfel.
Da wir nicht mehr mit Sicherheit sagen können, wie der Tropfen Tinte oder der geschmolzene Eiswürfel früher einmal aussahen, stellt sich hier besonders die Frage, wie sicher wir uns mit den Ergebnissen unserer Berechnungen noch sein können. Um Unsicherheiten in inversen Problemen zu berechnen hat sich die Bayes’sche Statistik als besonders geeignet erwiesen, die in diesem Kontext auch Bayes’sche Inversion genannt wird.
Was reizt sie an diesem Thema besonders?
Einerseits ist es spannend, inverse Probleme mit stochastischen Methoden zu untersuchen, da wir hierdurch mehr Aussagen machen können als mit klassischen Methoden, die „nur“ nach einer Lösung des inversen Problems suchen ohne Unsicherheiten zu berücksichtigen. Andererseits verbindet dieser Ansatz eine große Bandbreite mathematischer Disziplinen. Es werden Kenntnisse über den zugrunde liegenden Prozess, also in meinem Fall über die Modellierung des physikalischen Prozesses mittels PDEs, Approximationsmethoden für die Simulation des Prozesses sowie stochastische Methoden für die Quantifizierung von Unsicherheiten benötigt. Man sollte mathematisch also breit aufgestellt sein.
Haben Sie sich bereits im Laufe ihres Studiums auf die Stochastik konzentriert?
Tatsächlich hatte ich bis zur ersten Besprechung mit Prof. Barth, die meine Bachelorarbeit betreut hat, nur spärlichen Kontakt zur Stochastik gehabt. Die Vorlesung zur Wahrscheinlichkeitstheorie hörte ich tatsächlich in demselben Semester, in dem ich die Arbeit geschrieben habe. Im Bachelorstudium hatte ich mich erst in der Differentialgeometrie und mathematischen Physik vertieft, hörte gegen Ende des Bachelorstudiums jedoch auch Vorlesungen aus dem Bereich der Numerik. Rückblickend würde ich Studieneinsteigern definitiv empfehlen, sich nicht nur stur auf eine Fachrichtung zu konzentrieren. Es lohnt sich, Überblickswissen zu sammeln und aus verschiedenen Gebieten Kenntnisse aufzubauen und sich erst später zu spezialisieren.
Das Ende Ihres Bachelorstudiums liegt bereits ein Jahr zurück. Woran denken Sie, wenn Sie an Ihr Bachelorstudium zurückdenken? Gibt es Erfahrungen oder Ratschläge, die Sie anderen mit auf den Weg geben möchten?
Ich denke sehr gerne an meine Studienzeit, die sich langsam dem Ende neigt. Ich sage immer, dass es schwer ist, Mathematik zu studieren, aber dass es völlig unmöglich ist, Mathematik allein zu studieren. Ich bin sehr dankbar für die Menschen, die mich auf diesem Weg begleitet haben: Kommilitonen, Freunde und Familie. Es ist einfach so, dass das Studium schwer ist. Es erfordert ein hohes Maß an Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen. Umso wichtiger ist es dabei, sich gegenseitig zu helfen und sich auch mal wieder aufzubauen.
Und das ist der beste Ratschlag, den ich angehenden Studierenden mitgeben kann: Geht den Weg zusammen.
Oliver König B.Sc.
Preisträger der Robert Bosch GmbH für herausragenden B.Sc. Abschluss am Fachbereich
Mathematik