Was begeistert Sie an der Mathematik?
Zum Einen der abstrakte Aufbau. Das hat mich gleich am Anfang des Studiums gepackt. Ausgehend von Aussagenlogik und naiver Mengenlehre wurde da ein Gedankengebäude erstellt, in dem jeder Satz aus den vorher bewiesenen Sätzen bewiesen wurde. Ich finde es faszinierend, dass sich aus ein paar Grundannahmen dieses riesige Gebäude konstruieren lässt. Und dann gibt es noch Aussagen wie z.B. die Kontinuumshypothese, von denen man beweisen kann, dass sie innerhalb dieses Systems weder bewiesen noch widerlegt werden können. Das gefällt mir auch, dass man hier nicht weitersuchen muss, man weiß woran man ist.
Zum anderen begeistert mich das Wechselspiel zwischen Anwendung und Mathematik. Viele Ideen in der Mathematik kommen aus der Anwendung. Umgekehrt liefert die Mathematik Ideen und Möglichkeiten zur Verwirklichung von Anwendungen. Da gibt es z.B. die diracsche Delta-Funktion, ich würde eher sagen Delta-Distribution. Physiker fragen sich, wie ein mechanisches System auf einen punktförmigen Stoß reagiert. Punktförmig meint, dass der Stoß keinerlei zeitliche Ausdehnung besitzt und trotzdem Energie und Impuls in das System einspeist. Und die Modellierung eines punktförmige Stoßes führte zur Einführung der Delta-Funktion. Für Mathematiker gibt es zunächst keine solche Funktion. Aber aus dem Bestreben, einen mathematischen Kontext zu definieren, in dem solch ein punktförmiger Stoß realisiert werden kann, entstand die Distributionentheorie. Diese wiederum führte zu neuen Lösungstheorien für Differentialgleichungen, die von den Physikern benutzt werden.
Außerdem fasziniert es mich, wenn Dinge, die zunächst als sehr schwierig erscheinen, aus einfachen Schritten aufgebaut werden können.
Sie machen Schülerarbeit. Warum?
Ich bin begeistert von mathematischen Dingen und möchte diese Begeisterung gerne teilen und weitergeben. Außerdem beschäftige ich mich gerne mit Kindern und Jugendlichen. Ein weiterer Punkt ist, dass ich für unsere Gesellschaft mathematische Kenntnisse als sehr wichtig erachte, damit die Erforschung und Entwicklung neuer Dinge möglich wird. Ich möchte unser Land darin unterstützen, indem ich, wo ich kann, mathematische Kenntnisse und Mathematik-Unterricht fördere.
Was bieten Sie für Schüler an?
Ich organisiere den Schülerzirkel Mathematik an der Universität Stuttgart. In diesem Rahmen gibt es zum Einen jedes Jahr einen Mathematik-Tag, an dem Schülerinnen und Schüler an einem Samstag Vortäge und Workshops mitmachen können. Als zweites bieten wir einen Korrespondenzzirkel an. Hier können Schülerinnen und Schüler sechs Mal im Jahr Material und Aufgaben herunterladen und ihre Lösungen einschicken. Für die besten Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es einen Preis. Als drittes Angebot haben wir das Schülerinnen- und Schülerseminar. Hier kommen besonders interessierte Schülerinnen und Schüler regelmäßig an die Universität und können mathematische Themen kennenlernen, die außerhalb des Schulstoffs liegen. Und als viertes Angebot gibt es das Schülerstudium, in dem bereits parallel zur Schule Anfängervorlesungen gehört und Prüfungen dazu abgelegt werden können.
Sie sprachen vorhin den Unterricht in der Schule an. Wie können Sie Mathematik-Unterricht fördern?
Das geht zum einen direkt: Ich arbeite in einem Team mit, das das Schulfach "Vertiefungskurs Mathematik“ in den allgemeinbildenden Gymnasien Baden-Württembergs initiiert und den Bildungsplan ausgearbeitet hat. Für dieses Fach stelle ich im Netz Material für den Unterricht bereit. Außerdem organisiere ich zu diesem Fach eine zentral gestellte Zertifikatsklausur, die an allen Universitäten in Baden-Württemberg angeboten wird, und an der inzwischen jährlich ca. 1000 Schülerinnen und Schüler freiwillig teilnehmen.
Zum Zweiten möchte ich, dass unsere Lehramtsstudierenden gut ausgebildet werden, damit sie später guten Unterricht halten können. Deshalb engagiere ich mich in der fachdidaktischen Ausbildung unserer Studierenden.
Sie sprechen bisher nur über Lehramts-Studierende. Gibt es in Ihrem Leben auch Bachelor- oder Master-Studierende?
Ja, ich halte gerne Vorlesungen für Mathematiker. Ich bin im Lehrangebot für unsere Studierenden regelmäßig dabei. Besonders gerne bereite ich mich auf Vorlesungen vor, die ich vorher noch nicht gehalten habe. Es freut mich, wenn ich etwas neues dazulerne oder bereits Bekanntes neu durchdenken muss. Dann ist meine Begeisterung besonders spürbar. Und ich habe ein Herz für Anwender, ich halte hin und wieder die “Mathematik für Informatiker“.
Vielen Dank für dieses Interview.
Priv.-Doz. Dr. Peter H. Lesky
Institut für Analysis, Dynamik und Modellierung