Du hast Mathematik und Musik studiert. Wie geht es Dir damit?
Beim Nachdenken darüber habe ich mich an ein Gedicht von Heinrich Heine erinnert:
Das macht den Menschen glücklich,
Das macht den Menschen matt,
Wenn er drei sehr schöne Geliebte
Und nur zwei Beine hat.
Der einen lauf ich des Morgens,
Der andern des Abends nach;
Die dritte kommt zu mir des Mittags
Wohl unter mein eignes Dach.
Lebt wohl, ihr drei Geliebten,
Ich hab zwei Beine nur,
Ich will in ländlicher Stille
Genießen die schöne Natur.
Das Gedicht habe ich in der U-Bahn gelesen.
Da ist von drei Geliebten die Rede. Wer ist, neben der Mathematik und der Musik, Deine dritte Geliebte?
So genau will ich es nicht nehmen. Das Gedicht sagt aber schon, dass man sich für die eigene Entwicklung von Zwängen befreien muss. Bei mir ist es der Gedanke, nach meinem Musikstudium weiterhin professionell musizieren zu können.
Du hast also einen Abschluss in Musik?
Ich bin B-Kirchenmusiker. Das Studium ist ein Bachelor mit 8 Semestern Regelstudienzeit. Ich spiele Orgel.
Sind die Studiengänge Mathematik und Kirchenmusik Bachelor vergleichbar?
Mathematik- und Musikstudium kann man schwer vergleichen. Ich musste im Musikstudium mental viel mehr an meine Grenzen gehen. Aber vielleicht lieg das auch daran, dass ich erst mit 25 und schon erfahrener mit Mathematik angefangen habe. Das durchschnittliche Niveau der Musikstudierenden ist viel höher. Das liegt aber an den harten Aufnahmeprüfungen in Musik. Besteht man die Aufnahmeprüfung (und wird dann auch aufgenommen), so fällt man (zumindest kenne ich es so) durch keine weiteren Prüfungen. Man wird fast nur einzeln unterrichtet, was den Staat viel Geld kostet. Die Kirchenmusik-Studiengänge (es gibt Bachelor und Master) gehören zu den teuersten. Dementsprechend gering ist aber die Anzahl der Studierenden.
Wie war das Doppelstudium für Dich?
Ich habe jeweils nur das Nötigste gemacht. In einem Semester habe ich zum Beispiel Analysis 3 und ein Proseminar in Mathematik mit der Vorbereitung auf mein Abschlusskonzert verbunden. Das Konzert hat im Konzertsaal der Musikhochschule stattgefunden, dort habe ich immer nachts vor meinem Unterricht geübt. Zwei Stunden vor Tagesanbruch habe ich mich dann auf Liegen im Flur vor den Gesangsräumen schlafen gelegt. Die Nachtwächter haben mich öfter geweckt. Einer war aber lieb. Er hat immer, wenn er mich gesehen hat, den Finger vor den Mund gehalten, „...pssst...“ gesagt und das Licht wieder gelöscht.
Wie bist Du zur Mathematik gekommen?
Meine Großeltern waren Hochschullehrer in Rumänien, mein Opa Physiker, meine Oma Mathematikerin. Ich nenne sie eigentlich Bunicu und Buni, aber hier Opa und Oma. In meiner Jugend und frühem Erwachsenenalter habe ich mich eher für Musik interessiert. An ein Mathematikstudium habe ich nie gedacht. Über einen Kommilitonen, der Musik und Mathematik studiert hat, habe ich mich dem angenähert. Ich bin aber erst mit 25, während einer persönlichen Krise, zur Mathematik gekommen. Ich hatte Glück, dafür bin ich dankbar. Das schreibe ich gerne meine Großeltern zu.
Du promovierst seit April 2023 am ISA - Institut für Stochastik und Anwendungen. Erzähl uns etwas zu Deinem Thema.
Ich forsche im Bereich der Extremwert-Theorie. Grob gesprochen geht es darum, aus Daten Rückschlüsse auf extreme Ereignisse zu ziehen, die so noch nicht oder nur sehr selten beobachtet wurden. In dem Gebiet beschäftige ich mich mit Zeitreihen. Man kann sich vorstellen, dass extreme Ereignisse, wenn sie auftreten, noch etwas nachwirken. Eine Hitzeperiode besteht zum Beispiel nicht nur aus einem heißen Tag. Wir nennen dies extremale Abhängigkeit und untersuchen kritische Werte, bei denen die Stärke der Abhängigkeit (mathematisch) zum Problem wird.
Was begeistert Dich an der Mathematik?
Die Symbole und Zeichen. Ich nehme sie farbig schattiert wahr. Alpha ist zum Beispiel gelb, Epsilon rot und Xi pink.
Danke für das Gespräch.
Ioan Scheffel M.Sc., B.Mus.(HMDK Stuttgart)
Institut für Stochastik und Anwendungen
Computational Statistics