Quantenmechanik ist die physikalische Theorie von Strahlung und Materie auf der Ebene der Elementarteilchen. Sie ist somit Grundlage für unser gesamtes Naturverständnis mit Ausnahme der Gravitation. Letztere ist die einzige der vier fundamentalen Kräfte der Natur, die noch nicht im Rahmen der Quantenmechanik beschrieben werden kann. Unser Verständnis des Periodensystems der Elemente und somit die gesamte Chemie beruht auf den Regeln der Quantenmechanik. Alles was wir über die Zusammensetzung des Weltalls wissen, beruht auf der Beobachtung von Atomspektren, deren Gesetzmäßigkeiten durch die Quantenmechanik bestimmt sind. Auch in Geräten des Alltags (Solarzellen, Speichermedien, Laser) und in der Medizin (Magnetresonanztomographie (MRT), Bestrahlungstherapie) kommen quantenmechanische Effekte zur Anwendung. In Quantencomputer setzen wir gegenwärtig große Hoffnungen.
Was hat Quantenmechanik mit Mathematik zu tun?
Für die nichtrelativistische Quantenmechanik, so wie sie in den Lehrbüchern der Physik dargestellt ist, hat John von Neumann in den 1930er Jahren eine rigorose mathematische Grundlage geschaffen. Im Jahr 1951 wurde erkannt (Tosio Kato), dass die Schrödingersche Beschreibung von Atomen und Molekülen in den von Neumannschen Rahmen passt. Seither arbeiten weltweit Mathematiker an der Ausarbeitung der Konsequenzen der Schrödingergleichung. Systeme von mehr als zwei Teilchen sind in der Regel nicht analytisch lösbar und auch mit numerischen Methoden kommt man bei vielen Teilchen schnell an die Grenzen der Computerleistung. Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg sind daher effektive Theorien, welche Vielteilchensysteme in geeigneten Grenzfällen (große Teilchenzahl, kleine Dichte, kleines Massenverhältnis etc.) gut beschreiben. Physiker sind gut darin, solche effektive Theorien zu “raten”, aber die Genauigkeit und Gültigkeit dieser effektiven Theorien qualitativ und quantitativ zu beurteilen ist eine Aufgabe für Mathematiker. In der mathematischen Quantenmechanik kommt fast das ganze Spektrum bekannter mathematischer Methoden zur Anwendung, von Analysis über Geometrie und Stochastik bis Gruppentheorie.
Woran genau arbeiten Sie, Prof. Griesemer?
Zusammen mit Kollegen und Doktoranden untersuche ich z.B. Energiespektren und das dynamische Verhalten von Vielteilchensystemen. Nicht selten geht das via ein effektives Modell, dessen Genauigkeit wir erst quantitativ abschätzen müssen. Die Modelle die wir betrachten sind entweder von aktuellem Interesse in der Physik (Modelle für ultrakalte Gase und Quantenoptik) oder schon lange auf dem Markt und von grundsätzlichem Interesse (Atom- und Festkörpermodelle). Manchmal gibt es zum betrachteten System bereits Resultate in der mathematischen Literatur auf welchen wir aufbauen können, manchmal müssen wir zuerst herausfinden was die Physiker oder Quantenchemiker machen, bevor wir ein mathematisch sauberes Modell aufstellen und analysieren können. Wir bewegen uns dabei in einem breiten Feld zwischen reiner Analysis und theoretischer Physik und das ist auch genau, was den Reiz dieser Forschung ausmacht.
Welche Vorkenntnisse müssen Studierende mitbringen um, im Rahmen einer Master- oder Doktorarbeit, in Ihr Forschungsgebiet einzusteigen?
Gute Kenntnisse der Funktionalanalysis und etwas Spektraltheorie sind die Grundvoraussetzungen. Für eine Promotion sind zudem Vorkenntnisse in Quantenmechanik erforderlich, also z.B. ein bis zwei Semester QM-Vorlesung, was auch eine Grundausbildung in klassischer Physik (Mechanik und Elektrodynamik) voraussetzt. – Am allerwichtigsten ist aber die Motivation und Bereitschaft, Lücken in der eigenen Ausbildung zu schließen.
Vielen Dank für das Interview.
Prof. Marcel Griesemer
Institut für Analysis, Dynamik und Modellierung