Die Modelle aus der siebten Brill-Serie sind eine Veranschaulichung der möglichen kubischen Flächen. Eine kubische Fläche ist die Lösungsmenge einer Gleichung von Grad 3. Das heißt, die Gleichungen sind Polynomgleichungen, deren größte Hochzahl 3 ist. Die Gipsmodelle aus der siebten Brill-Serie wurden von Karl Friedrich Rodenberg hergestellt und vom Verlag L. Brill herausgebracht.
Es ist wichtig, dass nur die Oberfläche des Gipsmodells relevant ist. Theoretisch sind diese Lösungsmengen der Gleichungen Flächen, die keine Dicke haben. Es ist einfach technisch notwendig, das Modell aus irgendeinem Material herzustellen und eine Fläche mit Dicke 0 lässt sich nicht realisieren. Also hat man sich dazu entschieden, eine Hälfte des Raumes mit Gips auszufüllen und die zu untersuchende Fläche als Trennwand zwischen Gips und Luft anzusehen. Dabei hätte man genausogut die andere Hälfte ausfüllen können. Das heißt, man hätte Gips durch Luft und Luft durch Gips ersetzen können. In einigen Fällen sind die Besonderheiten der jeweiligen Fläche bei der getroffenen Wahl besser zu erkennen, da sonst entscheidende Bereiche von Gips verdeckt wären.
Das ist aber nicht der einzige Punkt, an dem man vom Modell zum mathematischen Objekt noch einen Denkschritt leisten muss. Die Gipsmodelle haben alle eine Grundfläche von maximal ca. 20 cm x 20 cm. Die mathematische Fläche geht aber bis ins Unendliche weiter. Das bedeutet, der Hersteller der Gipsmodelle muss entscheiden, welcher Teil der Fläche relevant ist, und den Rest abschneiden. Diese Schnitte erkennt man daran, dass die Randflächen senkrecht nach unten oder zum Teil waagerecht über dem Erdboden verlaufen. Diese Schnittflächen erkennt man außerdem am Knick, über den sie mit der eigentlich untersuchten Fläche verbunden sind.
Dabei werden zwei Flächen als gleich angesehen, wenn man die eine zur anderen verformen kann, ohne die gesamte Gestalt der Fläche zu verändern. Es geht also nicht um die genauen Gleichungen oder um bestimmte Zahlenwerte, sondern nur darum, wie die Fläche prinzipiell aussehen kann.
Entscheidend für die Unterscheidung verschiedener Flächen sind sogenannte Singularitäten. Das sind die besonders auffälligen Punkte an den Modellen: die Punkte, in denen sich die Fläche selbst schneidet und wie auf einen Punkt zusammengezogen erscheint. Müssen zwei solcher Singularitäten durcheinander durchgezogen werden, um die eine Fläche in die andere überzuführen, so werden diese als zwei verschiedene Flächen angesehen.
Die Modelle der siebten Brill-Serie sind nicht nur eine Darstellung der verschiedenen Flächen dritter Ordnung, sondern eignen sich auch, um die verschiedenen Singularitäten zu betrachten.
Unser größtes Gipsmodell ist das der Clebschen Diagonalfläche. Diese besitzt keine Singularitäten. Sie hat aber einige Durchgänge. Die drei Löcher im unteren Bereich sind solche Durchgänge. Aber es gibt weitere: Auch der senkrechte Steg in der Mitte und die drei über den Löchern verlaufenden Stege sind Durchgänge, denn hier kann man innerhalb vom Gips durchgehen. Erinnerung: Welcher Teil aus Luft und welcher Teil aus Gips ist, wurde vom Hersteller entschieden. Mathematisch hat das keinerlei Bedeutung. Diese Durchgänge sind entscheidend für die Gestalt der Fläche. Denn wie auch immer man die Fläche verformt, die Durchgänge bleiben erhalten.
Die Durchgänge der Clebschen Diagonalfläche kann man in einem Coxeter-Diagramm darstellen. Der senkrechte Steg, der Modell zentral steht, wird im Coxeter-Diagramm durch den mittleren Punkt repräsentiert. Zu ihm sind die drei Löcher benachbart, dementsprechend werden drei Punkte mit dem mittleren Punkt verbunden. Jedes der drei Löcher ist benachbart zu dem über ihm verlaufenden Steg also wird an jeden der drei Punkte ein weiterer Punkt angehängt.
Um andere Typen von kubischen Flächen zu erhalten, kann man nun einzelne Durchgänge zuziehen. Ein zugezogener Durchgang ist eine Singularität, denn hier trifft die Fläche auf sich selbst. Lässt man die Löcher offen und zieht alle Stege zu, so erhält man das Gipsmodell 8. Die hier vorliegenden Singularitäten nennt man A1- Singularitäten.
Zieht man hingegen die Löcher zu, so entsteht Gipsmodell 19. Dabei sollte man auf die Singularitäten achten, die im Gipsmodell nur schwer erkennbar sind. Man kann nicht mehr durch das Gipsmodell hindurchschauen, denn die Löcher wurden ja zugezogen, jedoch gibt es drei Stellen, an denen das Gipsmodell theoretisch die Dicke Null haben müsste. Das bedeutet, wenn man mit Daumen und Zeigefinger von vorne und hinten in die Einbuchtungen greift, treffen sich die Finger fast wieder. Zwei dieser Stellen lassen sich auf dem Foto erahnen, hier kreuzen sich einige der eingeritzten Linien. Bei diesen Singularitäten verhält es sich umgekehrt zu den Singularitäten in Gipsmodell 8. In Gipsmodell 19 stellt die Luft solche kegelartigen Gebilde dar, die sich an den Spitzen treffen, in Gipsmodell 8 war das der Gips.
Zusätzlich zu den drei zugezogenen Löchern kann man nun auch noch den senkrechten Mittelsteg zuziehen. Dadurch werden die drei Singularitäten auf einen Punkt zusammengezogen und zu einer Singularität einer anderen Art. Auch dieses Gipsmodell ist in unserer Sammlung zu finden. Jedoch muss dafür Luft mit Gips vertauscht werden und anschließend das Modell auf den Kopf gestellt werden. Es handelt sich um Gipsmodell 17. Die drei hier sichtbaren Löcher sind die quer verlaufenden Stege aus der Clebschen Diagonalfläche.